Jahresbericht 2021

Teil B: Angebote und Wirkungen

Eine 2015 auf Basis der Patientendaten des Europäischen Mukoviszidose-Registers (European Cystic Fibrosis Society) errechnete demographische Prognose ergab, dass die An- zahl der erwachsenen Patienten mit Mukoviszidose bis 2025 um etwa 50 Prozent ansteigen wird. Bundesweiter Versorgungsnotstand Die Mängel bei der Versorgung erwachsener Betroffener lassen sich im Berichtsjahr gut an einem Beispiel in Bre- men verdeutlichen. Hier fusionierten im März 2021 am Kli- nikverbund Bremen zwei Kinderkliniken. Die Mukoviszido- se-Ambulanz, an der etwa 90 Patienten versorgt werden, gehört nun zum Eltern-Kind-Zentrum Prof. Hess (ELKI), das insgesamt 20 Spezialambulanzen unter sich vereint – laut Web-Auftritt des Klinikverbunds „eines der größten und modernsten Kinderkrankenhäuser Deutschlands“. Mit der Fusion wurde die Hoffnung verbunden, dass die personelle Ausstattung verbessert wird, auch für die Mukoviszidose- Versorgung. Doch es kam anders. Vertreter der Mukoviszidose Selbsthilfe Region Bremen e.V. traten im September vergangenen Jahres an uns heran und berichteten von den katastrophalen Zuständen am ELKI. Massiver Personalmangel in Verbindung mit schlechten Strukturen und noch nicht etablierten neuen Abläufen hatten dazu geführt, dass die Mukoviszidose-Versorgung sich massiv verschlechtert hatte. So kam es zu sehr lan- gen Wartezeiten vor Ort, da zu wenig Personal für die Auf- nahme der Patienten zur Verfügung stand. Nach der An- meldung mussten die Mukoviszidose-Patienten in einem Wartezimmer mit anderen Patienten der Klinik warten und das oft stundenlang. Schwierigkeiten zeigten sich auch bei der Ausstellung von Rezepten, die mit einer Verzöge- rung von bis zu vier Wochen ausgehändigt wurden, sodass zum Teil Versorgungslücken entstanden sind. In einem engen Austausch mit den Vertretern der regio- nalen Selbsthilfe und dem ärztlichen Team der Mukoviszi- dose-Ambulanz haben wir die zuständige Senatorin und die Geschäftsführung des Klinikverbunds auf die Miss- stände aufmerksam gemacht und schnelles Handeln ge- fordert. Auch die lokale Presse wurde über die Situation informiert und hat umgehend öffentlichkeitswirksam be- richtet. Von Seiten der Verantwortlichen wurden dar- aufhin erste Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu entschärfen. Durch gemeinsames, schnelles Handeln konnten wir er- reichen, dass die organisatorischen Schwierigkeiten und damit der akute Notstand am Zentrum teilweise behoben wurden. Wir werden die Entwicklungen am ELKI in Bre- men gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort aufmerksam Durch schnelles Handeln Versorgungslücken geschlossen

Hier kommt das durch den Mukoviszidose e.V. betriebene Deutsche Mukoviszidose-Register ins Spiel. Denn die in den teilnehmenden Ambulanzen erhobenen Daten dienen nicht nur als Grundlage für wissenschaftliche Forschung, sondern werden seit 2019 auch zur Beurteilung der Arz- neimittelsicherheit (PASS-Studien) ausgewählter Medika- mente verwendet. Dazu zählen unter anderem auch neu zugelassene CFTR-Modulatoren. Nicht zuletzt profitieren Betroffene mit einer selteneren Mutation von dem neuen Medikament nicht und auch bei (Lungen-)Transplantier- ten, Leber- und Nierengeschädigten sowie Betroffenen mit einer schwachen Lungenfunktion gibt es Einschrän- kungen. Diese Patienten werden demnach weiterhin zu- sätzlich ihre symptommildernden Therapien durchführen müssen, um ihren Gesundheitszustand dauerhaft stabil zu halten. Hier besteht also in Zukunft noch viel Bedarf an Grundlagenforschung, damit wirksame Medikamente für alle Patientengruppen zur Verfügung stehen. Dank fort- geschrittener Therapien und immer früherer Diagnosestel- lung (wie etwa durch das 2016 deutschlandweit eingeführ- te Neugeborenen-Screening) steigt die Lebenserwartung der Betroffenen kontinuierlich. Ein heute Neugeborenes mit Mukoviszidose hat, wenn die entsprechende ärzt- lich-therapeutische Expertise vorhanden ist und sich die notwendigen Versorgungsstrukturen nicht verschlechtern, eine gute Chance, das Rentenalter zu erreichen. Die eins- tige Kinderkrankheit Mukoviszidose ist erwachsen gewor- den. Doch die gesteigerte Lebenserwartung bringt neue Probleme mit sich. Früher war Mukoviszidose eine Kinderkrankheit. Heute ist die Chance das Erwachsenenalter zu erreichen, so hoch wie nie. Laut Berichtsband des Deutschen Mukoviszidose- Registers (Datenstand: 10.06.2021) machen Erwachsene bereits mehr als die Hälfte der Mukoviszidose-Patienten aus. Mittlerweile hat ein heute geborener Mukoviszidose- Patient eine statistische Lebenserwartung von 55 Jahren. Das steigende Alter bringt Probleme bei der Versorgung mit sich, denn das Gesundheitssystem in Deutschland ist auf diesen Wandel nach wie vor nicht ausgerichtet. So müssen erwachsene Mukoviszidose-Patienten vielerorts noch in Kinderkliniken behandelt werden, da es zu wenige Ambulanzen für volljährige Erkrankte gibt oder weite Wege in Kauf nehmen, um medizinisch gut versorgt zu werden. Dies ist je nach Gesundheitszustand nicht für jeden Patien- ten leistbar. Und die Situation wird sich weiter verschärfen. 1.4.1 Prekäre Engpässe bei der Versorgung erwachsener Patienten 1.4 Eine chronische Krankheit und ihre sozialen und gesundheitlichen Folgen

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Mukoviszidose e.V. | JAHRESBERICHT 2021

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