MUKOinfo Nr. 4/23: Grenzen überwinden trotz Mukoviszidose

Die Nachsorgeklinik Tannheim im Schwarzwald Baar-Kreis gibt Familien mit chronisch kranken Kindern neue Kraft und Hoffnung.

statt. Der Austausch hilft den Eltern, die vielen neuen Informationen einzuord nen. Zudem sehen sie, wie individuell die anderen Familien die Richtlinien der Ambulanzen im Alltag umsetzen. Sie be kommen eine Idee davon, wie ein guter Alltag auch mit Mukoviszidose gelingen kann und sehen Kinder und Familien, die diesen „ganz selbstverständlich“ schon seit Jahren meistern. Diese Ideen können in Gesprächen mit den Bezugstherapeu ten reflektiert und individuell weiterent wickelt werden. Mit dem Einsatz von Kaftrio, von dem viele Betroffene erheblich profitieren, ergeben sich neue und veränderte He rausforderungen für die Patient:innen und ihre Familien. Neben der Beobach tung/Vermutung, dass die Einnahme von Kaftrio das Entstehen einer depressiven Erkrankung fördern kann, kann sich auch sonst Vieles im Leben der Mukovis zidose-Betroffenen verändern und damit Unsicherheit produzieren, die es zu überwinden gilt. So haben viele Patien ten als Kind gelernt, fettreich und viel zu essen. Mit der Einnahme von Kaftrio und einem veränderten Stoffwechsel nehmen sie glücklicherweise besser zu, müssen dann aber ihre Ernährung umstellen, um nicht übergewichtig zu werden. Über Jah re eingeübte Rituale und Prozesse hin sichtlich des Essverhaltens lassen sich zunächst nur schwer verändern. Schon wieder entsteht das Gefühl, „ich habe ein Problem, das ich bearbeiten muss“.

Ein anderes Beispiel ist, dass sich mit der Einnahme von Kaftrio die Sicht auf die gesamte Lebensperspektive verän dern kann. Wenn ich mir bis vor einigen Jahren nicht sicher war, wie lange ich berufstätig sein kann, wie lange ich mein Kind aufwachsen sehe und damit gerechnet habe, früher zu sterben als normal gesunde Menschen, ist es nun ein großes Glück, plötzlich die Aussicht auf mehr Lebensjahre zu haben. Und das kann einen Menschen überfordern, weil er/sie eine neue Lebensplanung entwer fen muss. Existentielle Fragen wie „Was ist mir im Alter noch wichtig?“, „Welche Ziele setze ich mir noch?“, „Wie gehe ich mit dem Verlust von Menschen um, von dem ich dachte, dass ich ihn nie erle ben werde?“ (z.B. den Tod der eigenen Eltern/anderer Verwandter) werden jetzt zum ersten Mal gestellt und müssen be antwortet und verarbeitet werden. Hinzu kommt die Perspektive einer längeren Erwerbsfähigkeit. Patienten, die sich aufgrund von früher gesundheitlicher Verschlechterung zunächst wenig Ge danken über berufliche Zukunftsplanung gemacht haben, müssen sich plötzlich damit konfrontieren, einen Beruf mögli cherweise noch Jahrzehnte ausüben zu können/müssen. Dies betrifft unter an derem Patienten, denen vor einigen Jah ren aus medizinischen Gründen von vie len Berufsbildern abgeraten wurde. Dies hatte zur Folge, dass sie einen Beruf ergriffen, bei dem sie möglichst schnell noch etwas Geld verdienen konnten, um

bei der drohenden Erwerbsunfähigkeit eine ausreichende Rente zu erhalten. Aus diesen Gründen wurden häufig be rufliche Laufbahnen eingeschlagen, die nicht unbedingt den eigenen Interessen und Fähigkeiten entsprechen. Zeit für sich All diese Faktoren, die mit einer verän derten Lebensperspektive einhergehen, erzeugen unter Umständen viel Druck und benötigen in der Bearbeitung viel Kraft. Innerhalb der Rehabilitation gibt es die Zeit und den Raum, sich mit all diesen Fragen sachlich, inhaltlich, praktisch und emotional auseinander setzen zu können. Mit allen genannten Beispielen geht oft das Erleben eines Selbstwertverlusts einher, „weil man doch eigentlich froh sein müsste und zu blöd ist, um damit klar zu kommen“. Daher ist eine wertschätzende, ressour cenorientierte therapeutische Arbeit, die in Gesprächen, in der Kunsttherapie, auf dem Pferd oder im Sport stattfinden kann, essentiell. Darüber hinaus ist die Erfahrung im Kontakt mit anderen Pati enten wichtig, um sich darüber bewusst zu werden, dass man mit den eigenen Anliegen, Fragen und Problemen nicht allein ist.

Das psychosoziale Team der Nachsorgeklinik Tannheim E-Mail: info@tannheim.de

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Schwerpunkt-Thema: Grenzen überwinden trotz Mukoviszidose

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