muko.info 2/2022 "Mit Mukoviszidose im Ausland leben"
Mein Leben mit CF
Politik und CF – wie geht das zusammen? Oder: Wie Vernetzung Teilhabe schafft
Wir kennen es alle: Am Sonntag schauen wir in unseren Medikamentenschrank und merken, dass ein Medikament leer ist. Manchmal können wir zur nächsten Apotheke huschen, aber manchmal merken wir auch: Hier brauche ich die Unterstützung des CF-Netzwerks, einer Gemeinschaft von Patienten, die sich gegenseitig beistehen.
Ein Hilferuf online an das CF-Netzwerk vor Ort und mit ein bisschen Glück ist die benötigte Hilfe rasch unterwegs. Aber ist es fair, dass wir uns selbst organisieren müssen, weil die Versorgungsinfrastruk- tur noch nicht im 21. Jahrhundert ange- kommen und somit nicht ausreichend digitalisiert ist? Weil die Strukturen, die es gibt, weder flexibel sind, noch uns allen die Versorgung bieten können, die sie verdienen? Vor ein paar Jahren war ich auf meinem Youtube-Kanal aktiv, um Motivation und Hoffnung zu spenden an jene Menschen, die meine Situation nachempfinden können. Aber irgend- wann merkte ich, dass mir das nicht mehr reichte, dass ich tiefgreifende Verände- rung sehen wollte. Ich kämpfte gegen die Symptome, sowohl von meiner Krankheit als auch gegen die starren politischen Rahmenbedingungen. Und Ernüchterung machte sich breit. Meine Gesundheit ver- schlechterte sich und meine Zuversicht war im Sinkflug. Persönlicher Aufschwung durch politi- sches Engagement und Kaftrio Dann passierten zwei Dinge, die meinem Leben deutlich Aufwind gaben. Zuerst lernte ich 2019 bei der Europawahl Volt kennen. Eine Partei, die Probleme in Europa grenzübergreifend angehen will, statt Politik rein national zu denken. In über 30 Ländern sitzen Ehrenamtliche, die sich den gleichen politischen Zielen verschrieben haben und gemeinsam, digital vernetzt, an politischen Lösungen arbeiten. Und meine Hoffnung auf positi-
ve Veränderung wuchs wieder, denn ich bin der Überzeugung, dass grenzüber- greifende Probleme auch gesamteuropäi- sche Solidarität benötigen. Die zweite Errungenschaft war Kaftrio: Es gab mir Stabilität, die ich noch nie so kannte. Ich habe 13kg in einemMonat zugenommen, auch wenn ich nur zwei Mahlzeiten aß. Schlechtes Wetter hatte weniger Einfluss auf mich, denn meine Energie blieb. So konnte aus meiner Moti- vation, mich einzubringen auch die Kraft erwachsen, meine politischen Ziele in die Tat umzusetzen. Die europäische Unter- stützung ist heute noch unzureichend, das merken wir Betroffenen am eigenen Leib – etwa wenn Phagentherapien für uns in Georgien verfügbar sind, aber nicht in Deutschland oder Medikamenteneng- pässe durch den Brexit entstehen. Zusammenhalt gefunden Im Dezember 2021 wurde ich zum Bundes- vorsitzenden von Volt Deutschland ge- wählt und bin somit bundesweit der erste Vorsitzende einer Partei mit chronischer Erkrankung. In meiner politischen Arbeit habe ich das wiedergefunden, was ich auch am Muko-Netzwerk schätze: Wir sind füreinander da und halten zusam- men. Ich glaube, dieser Zusammenhalt birgt die Chance, die Probleme unserer Zeit anzugehen – sei es im Einsatz für ein demokratischeres, geeintes Europa oder für das Wohlergehen der CF-Community. Unsere Vorstandssitzungen halten wir digital ab, ebenso die Parteitage oder
Stammtische. Das erlaubt mir, überall dabei zu sein – ich sitze zuhause, arbeite von Ostfriesland bis München
mit Mitgliedern online zusam- men und schaffe es so, meiner Krankheit, meinem Amt und meiner Familie gerecht zu werden. Digitale Räume als Chance für Zusam- menhalt, Hoffnung und Flexibilität begreifen Lange habe ich daran gezweifelt, dass ich in meiner Verfassung den Ansprüchen von Parteiarbeit gerecht werden kann. Aber meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass es einen Platz für mich, für uns, gibt und ich meine Stimme hörbar machen kann. Dafür braucht es keine Stammtische in der 20km weit entfernten Stadt oder jeden Tag gleich viel Energie. Vielmehr gibt es bereits (digitale) Räume, die Zusammen- halt, Hoffnung und Flexibilität schaffen. Ich möchte dir Mut machen, dich für deine Wünsche und Ziele für die Zukunft einzu- setzen. Wir haben das Steuer in der Hand und können Dinge ändern, wenn wir zu- sammenstehen und unsere Stimme hörbar machen. Du, ich, wir alle. Gemeinsam.
Connor Geiger
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