muko.info 2/2022 "Mit Mukoviszidose im Ausland leben"

Finnland ist schön Aber wenn man krank ist, wird man arm

Als Beatrix 1994 von Berlin nach Finnland übersiedelte, hatte sie schnell verstanden, dass sie hier nur so lange mit CF leben können würde, wie es ihr gut gehen würde. Das liegt einerseits am sparsam steuer- finanzierten Gesundheitssystem, ande- rerseits an mangelnden Fallzahlen (Gen- pool) sowie der Einstellung der finnischen Kollegen zur Konsultation von Experten im europäischen Ausland. Sie sagt: „Die Erfahrung des Patienten gilt nichts. Es ist zwar ein Lottogewinn in Finnland geboren zu werden, aber man braucht einen, um es finanzieren zu können.“ Meine „Versorgung“ erfolgt(e) in der Uni-Lungenklinik. In der ersten Sprech- stunde wurde ich nicht mal abgehört. Lottogewinn 1: Die EU-Richtlinie zur Ver- besserung der Versorgung für seltene Erkrankungen. Ohne die wäre ich wohl nicht mehr hier, da es mir seit sechs Jahren ziemlich schlecht gegangen ist. Jetzt gibt es eine multiprofessionelle Poliklinik für CF, die vieles erleichtert. Inhalatoren

und Zubehör bekommt man dauerhaft geliehen. Stationär hat sich in all den Jahren nichts geändert: Obwohl mich mittlerweile alle kennen, habe ich im- mer wieder dieselben Diskussionen um Medikamente, i.v. Katheter, Diät, Phy- siotherapie. Das „baut auf“, wenn man am Boden ist … Reha-Massnahmen im deutschen Sinne sind unbekannt. Sonderbudget ermöglicht Physio- therapie Lottogewinn 2: Vor zwei Jahren bekam ich aus einem Sonderbudget der Klinik das erste Mal eine Kostenübernahme für Physiotherapie. Zeitgleich wurde ich massiv unter Druck gesetzt, mich transplantieren zu lassen, ohne die Bedeutung dieser Operation zu erfassen oder meine Autonomie zu akzeptieren. Zum Assessment gehört, wie ich höre, der Gerätepark, aber sie haben keine Psychologen vorgesehen. Finnland ist eben ein Land der Ingeni- eure und die hiesigen Ärzte haben eine mechanische Sicht von Gesundheit.

Beatrix Redemann war vor 30 Jahren Vorstands- mitglied im Mukoviszidose e.V.

Lottogewinn 3: Mittlerweile habe ich mir – trotz einer seltenen, nicht gelisteten Mutation – die neuen CFTR-Modulatoren erstritten, da Finnland teure Massnah- men immer zuletzt und zögerlich umsetzt, ich aber keine Zeit (mehr) habe. Also schickte ich meinen Ärzten die entspre- chenden Veröffentlichungen und hatte mindestens eine intensive Diskussion. Die schwächliche Patientenorganisation (100 bekannte Fälle) ist für mich von ge- ringem Nutzen. Es gibt wohl eine Face- bookgruppe von jüngeren Erwachsenen. Die Zuzahlung für Krankenhausaufent- halte und Medikamente ist im Vergleich so hoch wie nirgends in Europa. Wenn man krank ist, wird man arm. Wenn man arbeitsunfähig wird, ist man arm. Sozial- leistungen in Finnland sind eher sparta- nisch und die Einkommensgrenze, unter die man fallen muss, ist verschwindend. Finnland ist schön, subarktisch und in mancherlei Hinsicht ein hartes Pflaster. Sie nennen es hyvinvointivaltio (Wohl- fühlstaat) – noch Fragen?

Beatrix Redemann

Finnland ist schön, subarktisch und in mancherlei Hinsicht ein hartes Pflaster.

13 Schwerpunkt-Thema: Leben mit Mukoviszidose im Ausland

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online